2020 gehört in die Tonne Yasemin Wüstenhagen

„2020 gehört in die Tonne!“ – ja, aber in welche eigentlich?

„2020 gehört die Tonne!“ – ein Satz, den ich in den vergangenen sechs Monaten unzählige Male gehört habe. Von den unterschiedlichsten Leuten. Ein Satz, der ein ganzes Jahr, der 365 Tage abstempelt. Als nicht lebenswert definiert. Ein Satz, den zu allem Übel auch noch die meisten Menschen unreflektiert unterschreiben würden. Und das, obwohl sie nicht einmal wissen, in welche Tonne ihr gebrauchtes Backpapier gehört. Eine Tatsache, die der Aussage zumindest ein Stück weit die Tragik, ja den Wind aus den Segeln nimmt. Und das ist gut so! 

Ausweglos durch neue Türen 

Was bewegt die Menschen dazu, so negativ zu denken? Was führt sie dazu, diese haltlosen Behauptungen aufzustellen? Welcher Müll hat sich im letzten halben Jahr in ihrem Leben angesammelt? Ist es die Enttäuschung darüber, nicht den Urlaub machen zu können, der schon seit letztem Jahr gebucht ist? Ist es die Wut darüber, nicht mit einer Horde Party-People feiern zu können, die für ihren Rausch gar keiner weiteren Gäste bedürfen? Ist es die Trauer darüber, nicht auf das Konzert gehen zu können, das seit Wochen auf der Agenda steht? Oder ist es die Hilflosigkeit darüber, im Job nicht aufsteigen zu können, weil es auf einmal zum Privileg wird, überhaupt einen Job zu haben?  

Wie auch immer die Antwort lautet, es herrscht weiterhin Klärungsbedarf dahingehend, in welche Tonne das Jahr 2020 nun fliegen darf. Im Hinblick auf die Umwelt sowie auf unser Inneres. Also schauen wir uns das ganze Mal genauer an:  

2020 gehört in die Tonne
Foto: © Paweł Czerwiński, Unsplash

Welche Rohstoffe hat uns 2020 geliefert?  

Den ersten Platz nimmt hier unbestritten Zeit ein. Wir hatten plötzlich ganz viel davon. Doch wofür brauchen wir eigentlich Zeit? Viele Leute empfinden dieses kostbare Geschenk als auferlegte Zwangspause. Aber warum eigentlich? Warum gehen wir von Anfang an in die Defensive? Warum reagieren wir mehr schlecht als recht auf die äußeren Umstände, anstatt einfach mal in Aktion zu treten? Weil wir es schon immer so getan haben? Weil wir im Dauerstress keine Zeit haben, Dinge zu hinterfragen? Nach unseren Beweggründen zu suchen? Wann haben wir verlernt, dankbar dafür zu sein, was wir haben? 

Wie wäre es, die Perspektive zu ändern? Sich neue Chancen zu eröffnen? Das Hier und Jetzt als das Beste, was uns hätte passieren können, anzusehen? 

2020 hat uns gezwungen, uns auf uns selbst zurückzubesinnen. Es hat uns gelehrt, was wirklich wichtig ist im Leben: Gesundheit, Freunde, Familie und überspitzt ausgedrückt ein gewisser Überlebenswille. Denn ohne intrinsische Motivation, ohne Antrieb, geht nichts. Du brauchst eine Leidenschaft, die Dich voller Tatendrang am Morgen aus dem Bett holt, Dich schon am Abend zuvor das Kribbeln in den Fingerspitzen spüren lässt, weil Du es kaum erwarten kannst, morgen dort weiterzumachen, wo Du heute aufgehört hast. Die Dir die Kraft gibt, trotz aller Rückschläge, dranzubleiben. Die Dir den Mut schenkt, entgegen aller Zweifel, anderen Dein Talent zu zeigen. Eine Leidenschaft, die Dich motiviert, von innen heraus, immer und immer wieder.  

2020 gehört in die Tonne
Foto: © Marta Ortigosa, Unsplash

(K)Ein Jahr wie jedes andere 

2020 hat uns gezeigt, dass unser Wohlbefinden an erster Stelle stehen sollte, dass wir uns frei machen dürfen, von all den Dingen, die uns nicht guttun. Seien es Angewohnheiten, Aufgaben, Menschen oder Erwartungen.  

Kein Jahr hat mir bisher so viel über mich, über meine Stärken und Schwächen, über andere und über das Leben gelehrt. Es kommt nicht darauf an, wie Du aussiehst, welchen Schulabschluss Du hast, was andere über Dich denken. Wichtig ist zu wissen, was Dir guttut, was Dich antreibt. Deine Kraft nicht in die falschen Dinge zu investieren, Dein Herz nicht den falschen Menschen zu öffnen. Gefühle zuzulassen, gnadenlos ehrlich zu Dir selbst zu sein. Und verzweifelt zu sein, ist völlig ok. Nicht zu wissen, wie es weitergeht, ist völlig ok. Das wissen wir in keinem Jahr unseres Lebens. Wir bilden uns ein, Herr über unser Schicksal zu sein, aber das sind wir nicht. Wir sind ein Spielball der Gezeiten, an jedem einzelnen Tag unseres Lebens.  

2020 gehört in die Tonne Yasemin Wüstenhagen Fräulein Schulterfrei
„2020 gehört in die Tonne?“

2020 hat mich gerettet  

Es hat mir gezeigt, dass ich auf dem falschen Weg bin, es kein links und rechts gibt, nur ein geradeaus. Immer weiter geradeaus. Ohne neue Erkenntnisse, ohne neue Herausforderungen. 2020 hat mir klar gemacht, dass ich diesen Weg nicht weiter gehen will, nicht weiter gehen kann. Ich bin keinem Jahr so dankbar wie diesem. Für die Zeit, die es mir geschenkt hat.

Zeit, in der ich mich nicht damit beschäftigt habe, was ich nicht will, sondern erkannt habe, was ich will. Zeit, in der ich nicht die Sachen gemacht habe, die mir keinen Spaß machen, sondern den Dingen nachgegangen bin, die mir Freude bereiten. Zeit, die ich nicht mit den Menschen verschwenden musste, die mir nicht guttun, sondern mit denen verbringen durfte, die ich liebe.  

Danke 2020, dass Du mich bewahrt hast. Vor so viel negativer Energie. Davor, den Kopf in den Sand zu stecken. Dass Du mich bewegt hast. Nicht aufzugeben. Immer weiter zu suchen. In mich zu investieren. Dass Du mir bewusst gemacht hast, was meine Passion ist. Dass es kein Weltuntergang ist, zu scheitern. Dass es nicht das Ende vom Lied ist, einmal falsch abgebogen zu sein. Dass Du mich geohrfeigt, mir die Nerven geraubt hast. Danke, dass Du meinen Hunger aufs Leben wieder geweckt und mir gezeigt hast, dass ich eine Wahl habe. Danke, dass Du mich auf meinen Weg zurückgebracht hast. Mit viel Neuem und wenig Altem.  

Wenn ich mir also eines wünschen dürfte, dann definitiv, dass es nie mehr so wird, wie es vorher war. Ich werde 2020 behalten. Es ist viel zu wertvoll für die Tonne. Und die Umwelt wird es mir danken.

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